von Walburga Hütter,
Ostermiething
Damals, als siebenjähriger Bub, war ich felsenfest davon überzeugt, dass es das Christkind wirklich gibt. Vater hatte es ja schon öfter vorbeifliegen gesehen und wenn Vater das sagte, dann stimmte es auf alle Fälle. Bei einem Waldspaziergang im letzten Winter hatte Vater plötzlich gerufen: „Schau, da hinten Peter, hast Du das Christkind gesehen?“ Aber als ich mich umdrehte und in die Richtung blickte, in die Vater gezeigt hatte, war es bereits wieder weg – obwohl, ich bildete mir ein, noch ein silbrig-goldenes Glitzern zwischen den Bäumen gesehen zu haben.
Dieses Jahr freute ich mich ganz besonders auf das Christkind, denn ich wünschte mir von ganzem Herzen eine Ziehharmonika und Mutter meinte, dass ich, wenn ich besonders brav und folgsam wäre, vielleicht eine bekommen würde. Onkel Max, der mehrere Instrumente spielte, würde mir das Ziehharmonikaspielen beibringen, das hatte er versprochen. So war ich in der Adventszeit besonders folgsam und in meinen Träumen sah ich die Ziehharmonika bereits rot-golden glänzend unter dem Christbaum liegen.
Dieses Jahr lag jedoch ein Schatten über der Adventszeit, denn meine Großmutter war schwer erkrankt. Woran genau begriff ich damals nicht, sie lag jedoch seit Wochen im städtischen Krankenhaus und die Familie war sehr besorgt um sie.
Ich saß in der Stube über meinen Hausaufgaben, als Vater von einem Besuch bei Großmutter zurückkehrte. Vater setzte sich zu Mutter an den Küchentisch und ich hörte ihn erzählen, dass es Großmutter sehr, sehr schlecht ginge. Mutter seufzte und bedauerte, dass wir so gar nichts für Großmutter tun könnten und dann sagte sie etwas, das mich traf, wie ein Keulenschlag: „Wenn Großmutter stirbt, wird Weihnachten heuer ausfallen!“
Mir fiel vor Schreck der Bleistift aus der Hand! Was hatte Mutter gesagt, Weihnachten würde ausfallen! Nein, nein, nein, dachte ich, das kann doch nicht sein, Weihnachten durfte nicht ausfallen, auf gar keinen Fall! Meine Ziehharmonika, ich wollte doch unbedingt meine Ziehharmonika! Aber, kein Weihnachten, kein Christkind, keine Ziehharmonika. Tränen liefen über meine Wangen, als ich Vater leise sagen hörte: „Wir können nur noch hoffen und beten.“
Beten, das war die Lösung, durchfuhr es mich. Also beten, beten, soviel wie möglich beten! Dann würde das Christkind vielleicht doch noch meine heißersehnte Ziehharmonika bringen. Sofort räumte ich meine Schulhefte weg und fing an zu beten. Das „Vater-unser“, dann „Gegrüsset-seist-du-Maria“, „Müde-bin-ich-geh-zur-Ruh“. Mutter sah mich erstaunt an, als sie in die Stube kam und mich mit gefalteten Händen, vor mich hinmurmelnd, fand. Sie legte ihre Hand an meine Stirn und fragte: „Peterle, bist du krank?“
„Nein, Mutter“, sagte ich leise, „ich bete für Großmutter, damit sie wieder gesund wird.“ Dass mein inständiges Beten allerdings mehr meiner Ziehharmonika galt, verschwieg ich wohlweislich.
„Du braver, lieber Bub“, lobte mich Mutter, „da wird Großmutter ganz bestimmt wieder gesund werden, wenn du so fleißig betest“, und sie strich mir liebevoll übers Haar.
„Und später beten wir gemeinsam einen Rosenkranz“, sagte Mutter. Das taten wir von nun an jeden Abend und am Ende des Gebetes fügte Vater noch hinzu: „Und wir bitten Dich, lieber Gott, lass’ Großmutter wieder gesund werden.“ Während ich in Gedanken die inständige Bitte formulierte: „Und bitte, liebes Christkind, bring’ mir meine Ziehharmonika.“
Und das Weihnachtswunder geschah! Am Tag vor dem Heiligen Abend wurde Großmutter aus dem Krankenhaus entlassen und konnte mit uns Weihnachten feiern.
So ging also auch mein sehnlichster Wunsch in Erfüllung – unter dem Christbaum lag sie, rot-golden leuchtend, wie ich es erträumt hatte: die funkelnagelneue Ziehharmonika. Ich konnte mein Glück kaum fassen und lachte und weinte gleichzeitig vor lauter Freude. Das inständige Beten hatte also doch genützt!
Inzwischen bin ich selber Vater von zwei aufgeweckten Buben und jedes Weihnachten erzählt ihnen ihre Urgroßmutter, meine Großmutter, die sich mit ihren 86 Jahren noch immer bester Gesundheit erfreut, von dem damaligen Weihnachtswunder: „Wenn Peterle nicht so viel für mich gebetet hätte, wäre ich bestimmt nicht gesund geworden“ und dabei schaut sie mich so liebevoll und dankbar an, dass ich beschämt den Kopf senke.
Oft schon war ich nahe daran, Großmutter zu gestehen, dass ich damals aus reiner Eigennützigkeit gebetet hatte. Doch wenn ich die Freude und den Stolz in Großmutters Augen sehe, wenn sie sich an „ihr Weihnachtswunder“ erinnert, dann bringe ich es nicht übers Herz, sie zu enttäuschen. Ich schweige aus Liebe und hoffe, dass der liebe Gott ein Einsehen mit mir hat.