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Donnerstag, 10. November 2016

Hitlerhaus – Abriss oder Verantwortung?

Braunau will keine Pilgerstätte für Nazis sein. Reicht der Abriss des Gebäudes oder ist mehr Engagement nötig? Wir sprechen mit dem Politologen Andreas Maislinger



von Martin Wimmer

BRAUNAU.
Die jahrelange Diskussion um das Geburtshaus Hitlers geht in eine weitere Runde. Der Streit um die Nutzung des denkmalgeschützten Gebäudes in der 16.000-Einwohner-Stadt dauert schon seit 2011 an. Die Besitzerin weigerte sich, das im Kern mehrere Hundert Jahre alte Haus zu sanieren und machte somit eine Verwendung des Hauses praktisch unmöglich. Der Staat und die Stadt als Mieter, überwiesen seitdem insgesamt rund 300.000 Euro als Miete (monatlich 4.700 Euro) für ein leerstehendes Gebäude, um zu verhindern, dass das Haus zu einer Nazi Pilgerstätte wird. Da sich die Eigentümerin weiterhin unkooperativ gegenüber sämtlichen Nutzungsvorschlägen zeigt – auch Kaufangebote des Staates abschlug - befasst sich das Parlament nun mit der Enteignung. 
Inzwischen beschäftigte sich eine vom Innenministerium beauftragte Expertenkommission aus Historikern, Juristen, Verwaltungsfachleuten und Politikern mit der künftigen Bestimmung des symbolträchtigen Hauses. Sie kam zu Schluss “eine tiefgreifende architektonische Umgestaltung vorzunehmen, die dem Gebäude den Wiedererkennungswert und damit die Symbolkraft entzieht”. Kritiker bemängeln, dass die Kommission wenig Mut zeigte und sich mit der Stadt selbst als Geburtsort Adolf Hitlers wenig auseinandersetzte. Der Inn Salzach Kurier spricht mit dem österreichischen Politwissenschaftler Andreas Maislinger, der seit Jahren für ein „Haus der Verantwortung“ in Braunau plädiert und dafür viele prominente Unterstützer hinter sich vereinigt hat.

ISK: Herr Maislinger, in den letzten Wochen und Monaten war das Geburtshaus Hitlers wieder in aller Munde. Die vom Innenministerium beauftragte Expertenkommission schlägt vor, das Anwesen für Ewiggestrige zu “entzaubern”. Viele sprechen von einem Abriss und einem unverfänglichen Neubau. Sie wehren sich gegen diesen Gedanken. Was spricht dagegen?


Andreas Maislinger: Ein Abriss des Hauses in der Salzburger Vorstadt 15 würde das Problem der Stadt Braunau am Inn nicht lösen. Das Stigma liegt nämlich nicht nur auf dem Hitler-Geburtshaus, sondern auf der ganzen Hitler-Geburtsstadt. Ich bin 1955 in St. Georgen bei Salzburg geboren und habe von 1966 bis 1970 die Hauptschule Ostermiething besucht. Da mein Vater aus dem benachbarten St. Pantaleon stammt, habe ich mich von Kindheit an sowohl als Flachgauer und Salzburger als auch als Innviertler und Oberösterreicher gefühlt. Die Stadt Braunau am Inn kann für die Geburt Hitlers genau so wenig, wie die Stadt Salzburg für die Geburt Mozarts. Es kommt jetzt jedoch darauf an, wie man mit dieser Tatsache umgeht. Der Abriss des Hitler-Geburtshauses würde weltweit signalisieren, dass sich die Stadt Braunau am Inn und die Republik Österreich der Geschichte entledigen wollen. Auch durch den von der Kommission vorgeschlagenen Umbau würde das Haus nicht entzaubert, sondern im Gegenteil, Hitler mehr als siebzig Jahre nach seinem Tod noch mehr Bedeutung gegeben. Mein Projekt eines Hauses der Verantwortung sieht vor, dass junge Menschen aus aller Welt das Haus nicht nur mit buntem Leben füllen, sondern das Haus auch klar definieren. Dafür erfahre ich täglich wachsende Unterstützung, die mich in meiner Absicht mehr und mehr bestätigt.

ISK: 1989 ließ die Stadt Braunau einen Gedenkstein als Mahnmal vor das Gebäude stellen. Wie sehen Sie die Bemühungen der Stadt und des Staates zur Aufarbeitung der Geschichte in Verbindung mit dem Geburtsort Hitlers? Vertut man sich nicht sogar eine große Chance?

Andreas Maislinger:  Braunau am Inn hat nach dem Mahnstein 1989 mit den Braunauer Zeitgeschichte-Tagen 1992, der Verlegung der Stolpersteine 2006 und vor allem der Initiative „Braunau setzt ein Zeichen“ klar gezeigt, dass es sich seiner Verantwortung stellen möchte. Braunau am Inn hat sich damit bereits einen guten Namen unter Menschen gemacht, die sich bewusst mit der NS-Vergangenheit auseinandersetzen. Mit dem Haus der Verantwortung würde jedoch ein noch viel größerer Schritt gesetzt werden können: Es bestünde damit für Braunau die Chance, weltweit einen völlig anderen Ruf zu erhalten. Mit ganz wenigen Ausnahmen verbinden Menschen weltweit mit dem Namen „Braunau“ fast nur Adolf Hitler. Man kann es gar nicht oft genug sagen: Das ist zutiefst ungerecht! Durch Jammern wird man es aber nicht ändern. Vieles deutet darauf hin, dass die Idee Haus der Verantwortung so stark ist, dass weltweit Braunau am Inn als „Stadt der Verantwortung“ wahrgenommen werden würde. Das habe ich bereits vor etwas mehr als einem Jahr im Inn Salzach Kurier angemerkt. Ich darf jeden einladen, einen Blick auf unsere Website www.hrb.at zu werfen um sich über das Projekt zu informieren.

ISK: Mit der Initiative “Friedensbezirk Braunau” will der Bezirk Braunau einen Gegenpol zum Geburtsstadtimage schaffen. Mit ihrer Idee, ein “Haus der Verantwortung” (House of Responsibility) in Braunau am Inn zu schaffen, könnte Braunau zum Ausgangspunkt vieler positiver Gedanken national und international werden.

Andreas Maislinger:  Genau so ist es! Neben der Erinnerung im Erdgeschoss und dem Engagement in der Gegenwart im ersten Stock, wäre der zweite Stock ganz der Zukunft und damit dem Frieden gewidmet. Die verdienstvolle Initiative der Friedensgemeinde Moosdorf und von Bezirkshauptmann Georg Wojak würde damit weltweit vernetzt werden. Das Haus der Verantwortung wäre ja kein weiteres NS-Dokumentationszentrum, sondern vor allem ein Treffpunkt für Friedensinitiativen. Wir würden uns im Erdgeschoss der Vergangenheit stellen und an die Verbrechen erinnern, aber wer immer das Haus betritt, wird über die Stufen hinauf in die Zukunft geführt werden. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Der Verein Österreichischer Auslandsdienst entsendet weltweit Gedenk-, Sozial- und Friedensdiener. Über unseren Friedensdiener in Hiroshima würden wir eine junge Japanerin oder einen jungen Japaner einladen, im zweiten Stock für eine atomwaffenfreie Welt einzutreten.

ISK:
 So manche österreichischen Politiker werden nicht müde zu betonen, dass wir in „unruhigen Zeiten“ leben. Wäre nicht genau jetzt der richtige Zeitpunkt, um ein Zeichen zu setzen?

Andreas Maislinger: Genau diese Antwort erhalte ich jetzt immer wieder! Ja, gerade jetzt wäre es wichtig, gerade diesem Haus diese klare Bestimmung zu geben! Wir benötigen noch mehr Orte der Besinnung und der Verständigung. Was Braunau am Inn immer wieder sehr schadet, könnte zum Positiven gewendet und genützt werden. Ich meine natürlich die große Aufmerksamkeit und das starke, sogar noch zunehmende Interesse an diesem Haus und an dieser kleinen Bezirksstadt. Wenn nach der geplanten Enteignung durch den österreichischen Nationalrat der zuständige Innenminister eine klare Entscheidung für das Projekt Haus der Verantwortung trifft, könnten wir sofort loslegen. Viele, auch sehr wichtige und einflussreiche Menschen warten darauf, um der Stadt Braunau am Inn konkret helfen zu können. Einer davon ist der zweifache Oscarpreisträger Branko Lustig, der 2011 in Braunau am Inn seine Unterstützung zugesagt hat.  

ISK: Vielen Dank für das Gespräch!