Wachstum sorgte für Spannungen
Die Ausdehnung der Stadt führte zu gewerblichen und gesellschaftliche Veränderungen
BURGHAUSEN. Die Entwicklung der Burghauser Altstadt ist ein spannendes Beispiel für den Fall und den Wiederaufstieg einer Stadt und erinnert zugleich intensiv daran, wie schwer es ist, Wachstum und gesellschaftliche Veränderung unter einen Hut zu bringen. Nach der Aberkennung des Hauptstadtstatus 1802 und dem Abzug der Garnison 1891 versank das frühere Rentamt in Armut. Der Ort war eingeschlossen vom Salzachtal. Eine nachhaltige agrarische Entwicklung konnte somit nicht umgesetzt werden. Mit dem letzten Salut der Soldaten verloren die Gewerbetreibenden rund 20 Prozent ihres Klientels.
Doch dann passierte ein Wunder, das wiederum – wie schon so viele andere Entscheidungen – auf dem Mist der Herrschenden gewachsen war. König Ludwig III. wies Geheimrat Alexander Wacker die Wasserkraft des letzten Teils vom geplanten Alzkanal zu, damit er hier seinen Traum vom eigenen Unternehmen umsetzen konnte. Den agilen Visionär zog es vom Herzen her mehr Richtung Landsberg am Lech, weil es dort alle Voraussetzungen gab und er seiner Heimat näher gewesen wäre.
Sozialer Sprengstoff
Der Allgäuer rechnete von Beginn an mit einem Seelenzuwachs von rund 20 Prozent und forcierte die Eingemeindung der Gemeinde Holzfeld, die 1921 nach langem Hin und Her endgültig vollzogen wurde. Alexander Wacker behielt Recht. Burghausen wuchs von 1916 bis 1925 sehr rasant von 3.612 auf 5.215 Einwohner. In dieser sehr schwierigen Zeit stand Hans Baumgärtner von 1919 bis 1929 an der Spitze der Stadt. Es gab viele Spannungen, weil sich die Gesellschaft als Gesamtheit und damit auch das Verständnis der alteingesessenen Bürger bzw. Gewerbetreibenden veränderte. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges forderten die Arbeiter unter anderem das Abhängen von Monarchen- und Heeresführerportraits. Baumgärtner weigerte sich und wollte dies nur auf Weisung „von oben“ tun. Sozialer Sprengstoff lag auch im Konsumverhalten der Zuwanderer. So kam es am 1. September 1920 zu einer Demonstration vor dem Haus des Bürgermeisters. Rund 300 Arbeiter ärgerten sich über die Höchstpreisüberschreitungen von Bäcker, Metzger, Müller oder Obsthändler. Sie drohten die Enteignung von Tieren an. Bürgermeister Hans Baumgärtner konnte die Erhitzung der Gemüter durch diplomatisches Geschick abmildern. Die Arbeiter lösten ihre Demonstration auf.
Spaltung
„Altstadt – Neustadt“
Schon damals zeichnete sich eine Veränderung der gesellschaftlichen und gewerblichen Lage ab, die nach dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere ab den 1960er-Jahren Realität werden sollte. Die Geschäftsinhaber in der Altstadt taten sich immer schwerer, weil die Arbeiter eigene Konsumvereine gründeten und so günstig einkauften. Zudem konnte Burghausen auch damals schon nur oberhalb der alten Kernstadt wachsen. Das Ausdehnungsgebiet des historischen Ensembles war ausgereizt. Außerdem stand die Fabrik oben und die Leute suchten auch wohnungstechnisch die Nähe zu ihrem Arbeitgeber. Ein sehr spannendes Beispiel für die zunehmende Spaltung von Alt- und Neustadt ist bis heute die Diskussion um den Bau einer neuen Volksschule und eines Kindergartens. Damals mussten bereits 550 Kinder beschult werden. Bereits 200 kamen aus dem neuen Teil der Stadt. Im Stadtrat gab es hitzige Diskussionen. Bürgermeister Baumgärtner setzte sich für die Entwicklung der heutigen Hans-Stethaimer-Schule ein.
Fehltritte und Weitblicke
Der emotionale Krieg um den Schulstandort kannte in seiner Hochzeit nur harte Bandagen. Und diese zogen vor allem wirtschaftliche Sanktionen nach sich. So wurden den Stadträten, die Partei für die Neustädter ergriffen, Aufträge und Bestellungen entzogen. Diese Form von Kriegsführung betrachtete Bürgermeister Hans Baumgärtner als persönlichen Angriff. Die Entscheidung für die Altstadtschule fiel ganz knapp (zwölf zu elf Stimmen) aus. Baumgärtner, der Großvater von Filmemacher Kurt Oehlschläger, setzte sich für Sozial- und Kleinrentner ein und sorgte durch zahlreiche Grundstückserwerbungen für ein besitzständiges Rückgrat der Stadt. Diese sollten vor allem nach dem Krieg wichtig werden, weil Burghausen bevölkerungsmäßig massiv explodierte. Während der zehnjährigen Amtszeit Baumgärtners wuchs die Stadt um rund 1.000 Einwohner an. Hans Baumgärtner wählte am 17. Juni 1929 den Freitod in der Salzach. Er hatte als Verwalter der Bezirkssparkasse drei Kredite, die zwar über den Rahmen gingen, aber nicht ehrenrührig waren, herausgegeben und zerbrach an den nicht eingehaltenen Versprechen. „Er wurde Opfer seiner Güte und Hilfsbereitschaft“, stand damals im Nachruf des Öttinger Anzeigers. Zudem verpasste ihm der hasserfüllte Streit um die Hans-Stethaimer-Schule einen schweren Schlag, weil er sich persönlich angegriffen fühlte.
In der nächsten Ausgabe: „Burghausens Entwicklung in der Neuzeit“